Ökologie: See-Not
Im Burgenland werden Pläne gewälzt, den
von der Austrocknung bedrohten Neusiedler See mit Wasser aus der
Donau aufzufüllen. Experten warnen jetzt allerdings vor einem
Umweltkollaps im Steppensee.
Die Bootsbesitzer am Neusiedler See werden wohl wieder die ersten
sein, die sich über den Wassermangel im See beschweren. Wie
schon in den vergangenen Jahren ist der Wasserpegel auch heuer
so niedrig, dass die Kiele größerer Jachten den schlammigen
Boden des Neusiedler Sees ankratzen. "Ackern" nennen
das die Freizeitkapitäne launig und drohen lautstark, ihre
Boote in zuverlässigere Gewässer zu überstellen.
Im nahe gelegenen Seewinkel, jener idyllischen, aber
touristisch weitaus weniger beachteten Landschaft, die sich zwischen
Neusiedler See und der ungarischen Grenze erstreckt, sind die
Auswirkungen der Trockenheit noch dramatischer - nur fällt
das hier kaum jemandem auf: Hier gab es bis vor einem Jahrhundert
mehr als 120 seichte Lacken, die vor allem für die Vogelwelt
große Bedeutung hatten. Heute sind davon nur noch 20 übrig,
doch auch diese Zahl gilt nur vorläufig.
Weiterhin verschwindet eine Pfütze nach der anderen. Selbst
die größte davon, die Lange Lacke, ist in akuter Gefahr,
zur breiten Steppe zu werden. Der hölzerne Wasserstandsanzeiger,
der einst von einer Zille aus in den Grund gerammt wurde, ragt
heute aus einer schlammigen Wiese empor. Wenn sich das flache
Becken nicht bald wieder mit Wasser füllt, könnte das
den Boden so verändern, dass jeder Regentropfen ins Grundwasser
verschwindet. Das Vogelparadies Lange Lacke wäre damit für
immer verloren.
Kanalprojekt. Um den chronischen Wassermangel in der
Region ein für alle Mal zu beseitigen, lässt die burgenländische
Landesregierung derzeit die Machbarkeit einer zunächst utopisch
wirkenden Idee prüfen: Durch einen noch nicht im Detail trassierten
Kanal sollen pro Jahr rund 32 Millionen Kubikmeter Donauwasser
aus der Region um Hainburg in den Neusiedler See gepumpt werden.
40 bis 50 Millionen Euro würde ein derartiger Wasseranschluss
nach ersten Kostenvoranschlägen kosten. Um maximal zehn Zentimeter
ließe sich der Wasserspiegel des Sees damit heben.
Auch Gemüsefelder, Weingärten und Äcker
in der Region könnten mit dem Flusswasser grundsätzlich
bequem bewässert werden, was indirekt auch das Austrocknen
der Lacken verzögern könnte. "Der Kanal ist ein
Jahrhundertprojekt", wirbt Julius Marosi, Leiter der Abteilung
für Wasser- und Abfallwirtschaft in der burgenländischen
Landesregierung, für den neuen Donaukanal. Mit drei bis vier
Jahren Bauzeit rechnet der Experte, ab dem Jahr 2009 schließlich
könnte es demnach für immer vorbei sein mit dem "Ackern"
im See.
Thomas Zechmeister vom Burgenländischen Naturschutzbund
fürchtet freilich, das Projekt könnte noch schneller
durchgedrückt werden. Weil für das Jahr 2008 eine Segelweltmeisterschaft
im Burgenland angekündigt ist, könnte der See kurzerhand
zur Sportanlage umdefiniert werden, die durch den Kanal bespielbar
gemacht werden muss. "Dann könnte sich das Land die
Durchführung der aufwändigen Umweltverträglichkeitsprüfung
sparen", so Zechmeister.
Fatale Chemie. Doch genau eine solche wäre dringend
angebracht, meint die Umweltchemikerin Regina Krachler von der
Universität Wien. Gemeinsam mit ihrem Mann, dem Chemiker
Rudolf Krachler, erforscht die Expertin seit Jahren die chemische
Zusammensetzung der stehenden burgenländischen Gewässer.
Sie warnt vor katastrophalen Auswirkungen durch die Wasserzuleitung.
"Das Donauwasser wird im Neusiedler See zunächst zu
einem gewaltigen Hygieneproblem, dann zu einer weiteren Ausbreitung
des Schilfgürtels und innerhalb weniger Jahrzehnte zum völligen
Verschwinden des Sees führen", so das Szenario der Wissenschafterin.
Schuld daran sei die generelle chemische Unverträglichkeit
der beiden Gewässer Donau und Neusiedler See. Ein Aspekt,
der laut Krachler bei den bisher gemachten Studien nicht berücksichtigt
worden ist.
Das Wasser des Neusiedler Sees enthält ungewöhnlich
viel Soda, das immer wieder aus Quellen unter der Wasseroberfläche
nachgeliefert wird. Die farblosen Kristalle, die früher zum
Geschirrspülen verwendet wurden, sind der Garant für
die Sauberkeit im See - und zwar paradoxerweise dadurch, dass
sie das Wasser trüben. "Soda verhindert, dass sich das
Feinsediment im See absetzt", erklärt Krachler. So bleiben
stets kleinste Tonmineralien in Schwebe. Diese Partikel sind überzogen
von einer dünnen Schicht hochaktiver Mikroorganismen. Der
Stoffwechsel dieser Organismen verarbeitet Pflanzenreste, aber
auch Verunreinigungen und Schadstoffe. Ein Großteil davon
wird umgewandelt und als Kohlendioxid ausgestoßen - löst
sich somit buchstäblich in Luft auf. "Allein dieser
Mechanismus war bisher der Garant dafür, dass der seichte
See nicht schon längst zugewachsen und verlandet ist",
sagt Krachler.
Zu viel Donauwasser könnte diesen Atmungsprozess
des Sees allerdings nachhaltig stören. Denn dieses Flusswasser
enthält relativ viel Kalzium. Wenn es mit Seewasser gemischt
wird, findet eine rasche chemische Reaktion statt, die dazu führt,
dass zunächst die trübenden Schwebstoffe aus dem Wasser
verschwinden. Die Badegäste bekämen freie Sicht auf
unappetitliche Kalkschlammablagerungen, die sich ebenfalls aufgrund
der Vermischung der Wasser am Seegrund bilden würden.
Doch nicht nur die Optik wäre laut Krachler wenig
erbaulich. Wenn die Schwebstoffe fehlen, geht allmählich
auch die Selbstreinigungskraft des Sees verloren. Der Kot der
hunderttausenden Wasservögel würde nicht mehr im gewohnten
Ausmaß verarbeitet werden. Zudem könnten abgestorbene
Pflanzen und Algen nicht mehr einfach abgebaut werden, sondern
würden sich am Seegrund ansammeln. "Das Meer der Wiener
würde sich innerhalb weniger Jahrzehnte in ein Hochmoor verwandeln",
prophezeit Regina Krachler.
Trockenphasen. Doch würde der See nicht auch
dann verschwinden, wenn kein frisches Wasser zugeleitet wird?
Das Risiko besteht tatsächlich. Schließlich hat der
fast 300 Quadratkilometer große See ein nur rund 1000 Quadratkilometer
kleines Einzugsgebiet und dadurch nur wenig ergiebige Zuflüsse.
Niederschläge sind daher für 80 Prozent des gesamten
Wasserzuflusses verantwortlich. "Eine Reihe trockener Jahre
kann da fatale Auswirkungen haben", sagt Alois Herzig, Leiter
der Biologischen Station in Illmitz. Deutlich zeigte sich dies
zuletzt in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Nach mehreren Trockenjahren
sank der Pegel immer weiter, bis der See im Jahr 1864 schließlich
völlig verschwunden war. Erst ab 1870 füllten starke
Regenfälle den See langsam wieder auf.
Der Klimawandel könnte das Risiko der Austrocknung
noch erhöhen. Für die kommenden 80 Jahre sagen Klimaforscher
einen Anstieg der Durchschnittstemperatur in der Region um bis
zu fünf Grad voraus.
Der Klimaexperte Herbert Formayer von der Wiener Universität
für Bodenkultur versucht nun herauszubekommen, wie der See
auf diesen möglichen Hitzeschock reagieren wird. Fest steht,
dass durch die höheren Lufttemperaturen mehr Wasser als bisher
verdunsten wird. Doch andererseits sei noch nicht auszuschließen,
dass der Klimawandel sogar zu stärkeren Niederschlägen
führen könnte, was die verstärkte Verdunstung ausgleichen
könnte.
Trotz dieses Hoffnungsschimmers will Formayer keine
Garantie für den langfristigen Fortbestand des Sees geben.
Bei seinen Recherchen ist er auf ein unheimliches Phänomen
gestoßen. Der See scheint schon derzeit unbemerkt zu schwinden.
Diesen Schluss legt der Vergleich von zwei Vermessungen des Sees
nahe. Die erste wurde in den sechziger Jahren durchgeführt,
die zweite dreißig Jahre später. "In diesem Zeitraum
scheint der See zehn bis zwanzig Prozent seines Volumens eingebüßt
zu haben", berichtet der Forscher.
Schilfplage. Eine Ursache könnte in dem rasant
anwachsenden Schilfgürtel liegen. Der ist während der
vergangenen 130 Jahre von einem schmalen Saum zur europaweit größten
geschlossenen Schilffläche herangewachsen (siehe Grafik).
Die riesige Monokultur würde schon jetzt das Gleichgewicht
zwischen Produktion und Abbau organischer Substanzen im See stören,
monierte das Wiener Umweltbundesamt bereits vor zehn Jahren. Regelrechte
Wälle von abgestorbenen Pflanzen haben sich an den seeseitigen
Rändern des Schilfgürtels gebildet, manche bis zu vierzig
Zentimetern hoch. Das schneidet die dahinter liegenden Schilfzonen
vom Seewasser ab - was die Wasserqualität verschlechtert
und in weiterer Folge auch den Abbau von Pflanzenresten weiter
bremst.
Für das Umweltbundesamt sind "menschliche
Eingriffe" für das unkontrollierte Wuchern des Schilfgürtels
verantwortlich. Gemeint ist damit vor allem die Errichtung des
so genannten "Einserkanals". Dieser ab 1908 gegrabene
künstliche Abfluss soll die Seeanrainer vor Hochwasser schützen.
Zunächst schossen die Konstrukteure allerdings weit über
das Ziel hinaus. Der Pegel des Sees sank auf nur noch 40 Zentimeter.
Im Extremwinter von 1928/29 war diese Restpfütze dann zu
einem massiven Eisblock erstarrt. Erst später wurde eine
Schleuse eingebaut, die den Abfluss von Seewasser regulieren sollte.
Seit dem Jahr 2000 wurde diese Schleuse nicht mehr geöffnet
- wegen Wassermangels. Regina Krachler ist überzeugt, dass
der See durch den Einserkanal rund 20.000 Tonnen Soda pro Jahr
verloren hat. Die ursprüngliche Sodakonzentration ist deshalb
bis heute auf ein Fünftel gesunken. "Es ist möglich,
dass dies zu dem rasanten Wachstum des Schilfgürtels beigetragen
hat", so die Wissenschafterin.
Langsames Verdunsten durch den Klimawandel oder rasches
Verlanden nach einer bedenklichen Donauwasserinjektion - dies
scheinen derzeit die beiden Optionen für die Zukunft des
Neusiedler Sees zu sein.
Die Beamten in Eisenstadt warten unterdessen auf den
Herbst. "Dann haben wir die Resultate unserer Machbarkeits-
und Umweltstudien vorliegen", sagt Julius Marosi zuversichtlich.
Wenn die Papiere zu keinem negativen Ergebnis kommen, könnten
schon bald die Bagger anrücken. Es sei denn, so der Beamte,
eine verregnete Saison hätte bis dahin den See wieder aufgefüllt.
"Dann gibt es keine Beschwerden mehr über den niedrigen
Wasserstand", so Marosi. "Und dann wird das Projekt
vermutlich wieder aufgeschoben."
Von Gottfried Derka